Spitzbergen – Hurtigruten – Expedition- Seereise – Nordstjernen: Tag 4, 80. Breitengrad
Was sind wir doch für Glückspilze – kaum öffnen wir die Abdeckung unseres Bullauges strahlt uns die Sonne entgegen! Unser Schiff startet wieder und bringt uns in ein weiteres überaus malerisches Gebiet. Wobei – es ist bezaubernd an jeder Ecke, die wir ansteuern. Manche ragen nur dann noch darüber hinaus!
Wir sitzen gerade beim Frühstück, da erreichen wir diesen Fjord. Da muss man doch alles liegen und stehen lassen und hinaus an Deck gehen. Leuchtend weiße Eisschollen im tiefblauen Wasser, dahinter die Berge und dazwischen ein Gletscher, der das Meer berührt. Dank der Sonne ist angenehm warm mit rund sieben Grad.
Kleidung im Zwiebelprinzip!
Ja, warm ist natürlich relativ. Aber hier ist jeder für den Norden ausgerüstet und so ziehen wir uns eher wieder Schichten aus. Das ist ein wichtiger Tipp, falls du diese Reise machen willst: Zwiebelprinzip! Mal weht ein kühler Wind, mal wärmt dich die Sonne. Dann dreht das Schiff und dein Sonnenplatz liegt plötzlich im Schatten. Meine Winterwanderhose mit Schiunterhose darunter ist perfekt für unten, oben ist es die leichte Steppjacke mit Langarmshirt darunter. Wer kälteempfindlich ist, der kann sich einfach einen der warmen Expeditions-Overalls ausleihen und sich so richtig dick einpacken.
Der erste Halt bringt uns an Land mit einer steinigen Küste. Die Nordsterjnen liegt mal wieder einem Postkartenmotiv gleich vor den weißen Bergen. Von dort geht unsere leichte Wanderung bis zur nächsten Bucht. Nass ist es heute nicht, der Boden ist gut zu gehen. Wer möchte, der kann sich Stöcke von den Guides leihen. Ein paar Mitreisende trauen sich die Wanderung dann doch nicht zu. Auch das ist kein Problem, sie werden mit dem Boot in die andere Bucht gebracht. Eine klasse Lösung, also ruhig mit an Land fahren und mal schauen! Es wäre schade, schon im Vorhinein ein so tolles Erlebnis auszuschlagen!
Für mich ist dieser Landausflug eine tolle Chance unser Schiff zu zeichnen – so bleibe ich beim ersten Platz! Dort sketche ich „was das Zeug hält“ und wirklich, eine schnelle Skizze geht sich aus! Mein erstes Reisetagebuch 2022 wird mit Spitzbergen voll.
Für die Harten: Baden im Nordmeer!
Für Gerald wiederum birgt dieser Landausflug ein besonderes Highlight, dem er seit der Planung dieser Tour entgegenfiebert: Baden im Nordmeer! Also „raus aus der Wäsch und eini ins Wasser“! Zuletzt am Wolfgangsee im Winter gebadet, ist er also fast ein Profi! Zuerst rein bis zu den Oberschenkeln und die Arme ins Wasser strecken. Dann der ganze Mann! Ich hab schon einen echten Waldviertler bekommen, das muss ich mal wieder feststellen!
Was mich aber noch viel mehr beeindruckt: eine Dame im Pensionsalter aus England schnappt sich ihren Badeanzug, zieht sich um und geht baden. Wow, einfach das ganz große Wow! Wobei mein Respekt ja jedem gilt, der mehr als den kleinen Finger hinein steckt. Auch eine ältere Deutsche beweist Mut und geht mit den Füßen hinein. Und ich? Mehr als den berühmten kleinen Finger, auch meine restliche Hand darf das Nordmeer spüren! Brrrr, kalt, eiskalt!
Walross-Sichtung auf Schotterbank!
Am Nachmittag steht der nächste Ausflug auf dem Programm. Auf einer Schotterbank möchten wir an Land gehen. Doch dann die Überraschung: drei überaus üppige Walrosse liegen dort und sonnen sich! Also bleibt unser Schiff stehen und wir haben lange Zeit die Schönheiten zu bewundern und zu fotografieren. Der Landausgang wird um die Ruhe der Tiere zu schützen abgesagt. Aber ehrlich gesagt, dass wir diese Nordwesen so nahe sehen durften, entschädigt uns für alles.
Am Nachmittag geht es ins Packeis, für uns beide, da sind wir uns einig der Höhepunkt der Reise. Zuerst einzelne Eisschollen, dann werden sie immer dichter. Was für ein genialer Kapitän, steuert das Schiff gefühlt auf den Millimeter genau an den Schollen vorbei. Manche bekommen einen leichten Schups von uns, triften zu nächsten. Jetzt ist der beste Ort am Schiff ganz vorne am Bug. Wir ziehen uns die warmen Overalls von den Expeditionen über – eine gute Entscheidung. Es ist so beeindruckend, dass wir uns fast nicht von diesem Anblick trennen können.
Vor uns das ewige Eis – der 80. Breitengrad überschritten!
Der Blick ins ewige Eis gerichtet, ein Schiff, das genau darauf zu steuert. Da ist er doch da, der Gedanke an die Titanic. Nein, nicht dass wir Angst haben. Aber ehrlich, es ist schon ein komisches Gefühl, als die Nordsternjen direkt auf eine riesige Eisscholle zusteuert. Wir realisieren, dass sie nicht ausweicht, sondern die Konfrontation sucht. Oben steht der Bug bereits über der Scholle, unten wird es jede Sekunde so weit sein. Ja, jetzt halten wir alle ein wenig den Atem an. Eine gewisse Anspannung macht sich breit. Und dann das Geräusch – der Kontakt von Eis und Metall. Was für ein Erlebnis!


Immer weiter geht es in den Norden, unser Ziel: der 80. Breitengrad, der Beginn der Arktis. Ob wir ihn erreichen, wissen wir nicht. Ist zwar natürlich Nebensache, aber wir wünschen es uns doch. Ja, kindisch, keine Frage. Aber wir stehen dazu 😉 Und wirklich, Scholle um Scholle zerbirst, immer weiter geht es. Am Horizont nur mehr Eis, immer dichter werdend, einer weißen Mauer gleich. Und dann ist es eine geschlossene Front, ein letzter Versuch unseres Kapitäns. Mit einem lauten Rumps stoppt die massive Eisplatte die Fahrt der MS Nordsternjen.
Unser Eisbrecher, die MS Nordstjernen gestoppt vom Eis
Wir haben es geschafft – der 80. Breitengrad ist überwunden! An Bord folgt ein Sektempfang mit der Polartaufe. Aber hier „trocken“ mit Anstoßen auf dieses Ereignis und nicht wie wir es von der Postschiffreise kennen, wo wir eine Taufe mit Eiswasser im Nacken erleben durften. War eine riesengroße, aber feuchtkalte Hetz!
Wir beide lassen diese Feier jedoch aus, wir können uns einfach nicht vom Anblick des Packeises trennen. Mutterseelenallein stehen wir am Bug des Schiffes und genießen die Stille und diesen monumentalen Anblick. Episch, ja, dieser Ausdruck wird der Weite des ewigen Eises gerecht. Stehen und staunen, der Worte beraubt. Den Anblick verinnerlicht und für immer gespeichert. In den berührenden Erinnerungen. Ganz tief drinnen!
Lange bleiben wir in der Zone des Packeises. Unser Kapitän ist ein wahrer Schatz, er bietet uns so viel, kreist bei besonders schönen Motiven, verweilt und lässt den Landschaften Raum und Zeit, um zu wirken. Der richtige Mann am richtigen Ort, nur einer, der die Schönheiten der Natur sieht, sollte ein Schiff hier steuern. Es ist das Auge eines Mannes, der diese so wilde und empfindliche Landschaft liebt und schätzt, das unseren Blick auf die besonderen Momente hinweist und lenkt.
Abends geht es nun südwärts, leider. Denn Richtung Süden beutetet, wir haben den Zenit der Reise überschritten und fahren wieder zurück. Die Mitternachtssonne leuchtet hell vom Himmel und vertreibt mit ihren Strahlen den bittersüßen Wehmut in unseren Herzen.